Recht auf Einkommen statt Recht auf Arbeit !

Was nützt uns ein Recht auf Arbeit, wenn es für viele Menschen keine mehr gibt ? Und wenn es welche gibt, ist sie noch menschengerecht ? Können wir dabei unsere Potentiale entfalten oder ist es so wie schon damals Albert Einstein meinte, dass „ein Recht auf Arbeit“ ein „Recht auf Zuchthaus“ sei.

Das bedingungslose Grundeinkommen für alle

Wir leben nicht mehr in einem Zeitalter von Selbstversorgung, sondern in einem Zeitalter der globalisierten Wirtschaft, wo fast alle Menschen für die Andern arbeiten. Wir erschaffen gemeinsam, auf Grund der kostenlosen Schätze dieser Erde und der Arbeit der Menschen, einen Reichtum, der Dank der Innovationen, der Automatisierung und der Produktivität ständig zunimmt. Allerdings denken wir aber noch wie in alten Zeiten. Der zeitgemäße Bewusstseinssprung lässt bei der Mehrheit auf sich warten. Es ist an der Zeit, Arbeit und Einkommen zu trennen! Ein erster Schritt dazu ist das bedingungslose Grundeinkommen, das folgende Merkmale aufweist (Definitionen zum Vergleich: www.wikipedia.de siehe Grundeinkommen, Bürgergeld, Negative_Einkommenssteuer und Grundsicherung):

· Der Bezug ist ein Bürgerrecht
· Es gibt keine Bedürfnisprüfung
· Das Recht steht jedem individuell zu
· Es gibt weder Verpflichtung noch Zwang zur Arbeit, auch kein verdeckter, in dem das Grundeinkommen nämlich zu tief angesetzt wird, etwa unterhalb der europäischen Armutsgrenze. Dieses könnte z.B. an einem gewissen Prozentsatz des Bruttoinlandproduktes festgemacht werden. Wächst der Reichtum, profitieren alle davon und die Verteilungsschere nimmt nicht dauernd zu (Bürgergeldsideen aus liberalen Kreisen halten diesem Punkt nicht stand, fordern dazu eine Bedürfnisprüfung, es steht also nicht jedem zu und fördert meistens nur den Sozialabbau)

Vier Märchen

1. Vollbeschäftigung

Die Produktivität steigt ständig (heute mindestens die achtfache Produktivität gegenüber den Nachkriegsjahren). Immer weniger, vor allem wenig qualifizierte, Arbeitsplätze werden benötigt. Milton Friedman geht davon aus, dass Dank des Fortschrittes bald nur mehr 20% der Menschen Arbeit haben werden. Der ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz sprach schon in den 80er Jahren von einer Zwei-Drittel-Gesellschaft, in der der Einsatz immer weniger Menschen für die Produktivitätsgewinne der modernen Gesellschaft nötig seien und er nannte das Gerede über Vollbeschäftigung „sinnloses Geschwätz“. Götz Werner (www.unternimm-die-zukunft.de), der die Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen in Deutschland so richtig ins Rollen brachte, meint, Vollbeschäftigung sei ein Mythos, eine Lüge. Aufgeschlossene Vordenker der Wirtschaft und der Politik sind sich also in diesem Punkte einig. 1993 fanden Lothar Späth und der frühere McKinsey-Manager Herbert A. Henzler heraus, dass eine Arbeitslosigkeit von fast 40% normal wäre, wenn man das technisch machbare Automationspotential ausschöpfen würde. Vollbeschäftigung ist geschichtlich ein Ausnahmezustand. Die goldenen sechziger und siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren auch eine Folge von 60 Millionen Toten im zweiten Weltkrieg !

Statt einem Umdenken, werden die Bürger weiter konstant mit dem Thema Arbeitslosigkeit in Angst und Schrecken versetzt. Wem nützt das? Etwa den Arbeitgebern (die eigentlich Arbeit nehmen !), die einstellen und entlassen können und somit Macht über das Leben anderer Menschen haben oder der Macht der Politiker, die diese Prozesse regeln? Warum stellen sich die meisten Parteien so gegen den augenscheinlichen Trend der Zeit? Die Politik ist bekannt dafür, Probleme der Zukunft oft mit Problemlösungen der Vergangenheit anzugehen. Eine Ausnahme scheint der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus zu sein. Er fordert ein  bedingungsloses, solidarisches Bürgergeld für jeden deutschen Staatsbürger. Die Grundsatzkommission der CDU hat sich am 23. Oktober 2006 positiv zu diesem Konzept positioniert. Ohne jetzt auf diesen Vorschlag im Detail eingehen zu können, ist es doch zumindest ein erster  Ansatz, der allerdings nur ein Anfang sein kann.

2. Wer nicht arbeitet, ist faul !

Wenn man sich mit Leuten unterhält, sagt jeder, er würde einer sinnvollen Beschäftigung nachkommen, wenn er ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten würde. Aber jeder glaubt scheinbar, die andern wären die Faulen ! Würden die, die weiter arbeiten würden, um ihr Einkommen zu vergrößern, sowie diejenigen, die in momentan größtenteils nicht bezahlten Bereichen wie Kindererziehung, Pflege oder sozio-kulturellen Tätigkeiten, nicht die Mehrheit ausmachen? Das Bildungswesen und die Sozialarbeit könnten statt einer undifferenzierten Wissensvermittlung bzw. Sozialkontrollen, diejenigen unterstützen, die Schwierigkeiten hätten, einer sinnvollen Tätigkeit nachzukommen. Die wenigen Prozent, die übrig blieben und gar nichts tun, sind diejenigen, die in jedem System mitgetragen werden und wären wohl kaum ein Anlass, die Andern von ihren Tätigkeiten abzuhalten.
 
Und übrigens, wenn das Motto gilt „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, dann wird heutzutage die Mehrheit verhungern, denn laut „Spiegel Online“ vom 26.04.2006 bestritten 2004 in Deutschland nur noch 39%, also eine Minderheit, ihren Lebensunterhalt durch bezahlte Arbeit.

3. Es gibt einen Mangel an Geld

Müssen der Gürtel immer enger geschnallt und immer schlechtere Arbeitsplätze in Kauf genommen werden, weil das Geld knapp ist ? Nein,  es gab noch zu keinem Zeitpunkt so viel Geld auf der Welt wie heutzutage. Das Zentralthema ist jedoch nicht die Menge, sondern die Verteilung des gemeinsam erwirtschafteten Geldes. Wobei man ja auch wissen muss, dass über 95 % der Geldströme mit der konventionellen Wirtschaft, also Produkten und Dienstleistungen gar nichts zu tun haben, sondern dass es dabei um reine Spekulation und um Profite auf Kosten anderer geht.

Wie ist ein bedingungsloses Grundeinkommen zu finanzieren ?

· Die bestehenden sozialen Transferleistungen machen bereits eine beträchtliche Summe aus (720 Milliarden € in Deutschland)
· Durch die Vereinfachung können Bürokratiekosten eingespart werden, da jeder das gleiche Grundeinkommen erhält
· Besserverdiener erhalten bereits jetzt indirekt Geld, das Minderbemittelte nicht erhalten, z.B. in Form von Steuervergünstigungen. Ein Grundeinkommen könnte diese einfach ersetzen
· Für Kinder könnten geringere Beträge genügen
· Steuerreform: Es sollte nur noch eine Steuerart geben : die Verbrauchssteuer. Warum? Alle Steuern und Abgaben an den Staat und an die Mitarbeiter werden sowieso in den Endpreisen verrechnet (der verborgene Teil für Steuern und Sozialtransfers betrug in Deutschland im Jahr 2004 47,5%). Das klingt unsozial ! Aber je nach Artikel könnte in Zukunft diese Steuer von minimal (auf lebensnotwendigen Gütern) bis zu extrem hoch (Luxusgüter) gestaffelt werden. Und auch wenn die Wohlhabenden nur einen geringen Anteil ihres Einkommens direkt verkonsumieren, so werden sie es später tun. Wobei es wichtig ist, dass jede gekaufte Aktie und jeder spekulative Geldtransfer der Steuer unterliegen muss (vgl. Tobinsteuer). Ein Zusatzsozialgeld für Minderbemittelte wäre auch nicht undenkbar. Warum es keinen Grund gibt, bei der vorgeschlagenen Steuerreform, die Preise zu erhöhen, kann hier nicht weiter erörtert werden (siehe: http://www.mtk.lu/grundeinkommen1.pdf )

4. Wirtschaft muss wachsen

Die Ursprungsaufgabe der Wirtschaft ist die Versorgung der Menschen mit Gütern und Dienstleistungen. Jeder Mensch ist bedürftig, jeder Mensch ist auch ein Konsument. Wieso muss die Wirtschaft dauernd wachsen und vor allem auf Kosten der Umwelt und der dritten Welt ? Weil die Zinsen mit Zinseszinsen im Durchschnitt 30-40% der Preise ausmachen und eine exponentielle Wachstumskurve aufweisen. Einen Menschen, der aber exponentiell  konsumiert, wird es selten geben. Die kapitalistische Geldwirtschaft, die durch Spekulationen und Zuführung von immer höheren Gewinnen an „shareholders“, die Verteilungsschere immer mehr ansteigen lässt, ist die Ursache für den Wachstumszwang. Wenn man den knapp 50% Steuern und Abgaben die 30-40% Zinsen hinzurechnet, weiß man, wie viel finanziell für das Rohmaterial und die Arbeit übrig bleibt. Bei Behebung dieser Tatsache wären die Preise also niedriger oder man müsste viel weniger Lohnarbeit verrichten und hätte mehr Zeit für frei gewählte sinnvolle Tätigkeiten.  Der Gewinn an freier Zeit kann, wenn richtig vorbereitet und begleitet, einen gewaltigen kulturellen Gewinn darstellen.

Die Situation  in Luxemburg

Die Hindernisse

Die Idee alter Tradition „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ oder die Illusion der Vollbeschäftigung, die oben erörtert wurde, haben auch in Luxemburg noch Hochkonjunktur. „Mehr als 50 Prozent sind [im Großherzogtum Luxemburg] der Meinung, dass Arbeit eine Pflicht ist, dass Geld zu erhalten, ohne zu arbeiten demütigend ist und dass Arbeitslosigkeit mit Faulheit gleichzusetzen ist“ (Eine zweite Chance geben, jobsearch, Seite 1, Luxemburger Wort vom 17.6.06)
Laut einer Eurobarometer-Studie aus dem Jahr 2003 sind 62 Prozent der Befragten der Ansicht, dass man egal welche Arbeit annehmen müsste, wenn man arbeitslos ist!

Für Luxemburg machte  die OECD im Juli 2006 folgende Vorschläge: „ Auch  die Entschädigung, die Arbeitslose beanspruchen können, ist dem OECD-Bericht zufolge zu hoch. Die Behörden sollten deshalb in Erwägung ziehen, das Arbeitslosengeld drei Monate nach dem Arbeitsplatzverlust zu senken. Bezieher des garantierten Mindesteinkommens, deren Lebenspartner einer geregelten Beschäftigung nachgehen, sollten nach Überzeugung der Wirtschaftsexperten mit einem stärkeren Rückgang ihrer Bezüge rechnen müssen“ (Härtere Zeiten für Arbeitslose, Luxemburger Wort vom 6.7.2006)

Der „Projet de loi relatif à la lutte contre le chômage social (incompressible)“ institutionalisiert neben dem RMG/ATI-System (revenu minimum garanti/ affectations temporaires indemnisées) und demjenigen für „travailleurs handicapés“, ein System definitiver Strukturen mit einer Basisphilosophie, die vergleichbar ist mit derjenigen der geschützten Werkstätten (laut „exposé des motifs“). Kreative Verhaltensweisen und  Selbstverantwortung mit oder ohne Hilfe werden so nicht sonderlich gefördert. (Projet de loi 5144 - A10)

Die Hoffnungen und Zukunftsorientierungen

In Luxemburg hat der Wirtschafts- und Sozialrat 2006 zum wiederholten Male die Einführung eines Systems von Negativsteuern in Luxemburg vorgeschlagen.

Die luxemburgische Presse zeigte sich dem Thema „bedingungsloses Grundeinkommen“ gegenüber recht aufgeschlossen, indem sie es in Artikeln und Leserbriefen aufgriff (www.mtk.lu/bedingungslosesgrundeinkommen.html). Auch in luxemburgischen Internetforen zeigt sich ein reges Interesse. In der Frankfurter Rundschau vom 20.11. 2006 meinte Jean-Claude Juncker auf die Frage, welche Mindeststandards er in der EU für unerlässlich halte: „Ein Grundeinkommen. Das heißt: Jeder, der in einem EU-Mitgliedsland wohnt, hat Anspruch auf ein Mindesteinkommen.“

Vom RMG zum bedingungslosen Grundeinkommen

Da in Luxemburg das RMG schon besteht, es aber kein bedingungsloses Grundeinkommen darstellt, stellt sich die Frage, was die ersten praktischen Minimalschritte in diese Richtung in Luxemburg sein könnten.

Zunächst einmal sollten die ATI-Empfänger, also die arbeitsfähigen RMG-Bezieher ihren Arbeitsplatz, anhand einiger Kriterien, selbst bestimmen können. Schließt man sich einem bestehenden Unternehmen an,  in einem Bereich, zu dem man sich hingezogen fühlt, etwa im sozio-kulturellen oder ökologischen Umfeld, in dem man vielleicht einige Vorkenntnisse hat, erhöht dies die Motivation und die regelmäßige Präsenz. Können, Präsenz und Motivation sind die Eckpfeiler jeder beruflichen Integration. Anstatt das Geld direkt vom Staat zu beziehen, würde man es vom neuen „Arbeitgeber“ erhalten, (der es seinerseits vom Staat erhält), der dadurch gestärkt würde und der Betroffene wäre ein voll integriertes Mitglied des Arbeitsteams und nicht nur ein „Geliehener“ (dies geschieht auch bei der Anwendung des dritten Absatzes des §13 des RMG-Gesetzes). Sicher brauchen einige eine Hilfestellung bei der Wahl des Arbeitsplatzes, der Einschätzung ihrer Fähigkeiten, eine Übergangshilfe oder psycho-soziale Begleitung. Freiberufliche Aktivitäten sollten natürlich auch möglich sein. Bürokratische und finanzielle Erleichterungen bei kleineren Firmengründungen wären ebenfalls wünschenswert. Ein Schulsystem, das Autonomie, Selbstverwirklichung und Potentialentwicklung fördert, statt vor allem Wissensvermittlung, sowie lebenslange Weiterbildungsmöglichkeiten müssten diese Prozesse unterstützen.

Zweitens müsste die Grundsicherung ein individuelles Recht sein, ohne Rücksicht auf Zusammensetzung der Wohngemeinschaft. Das Prinzip der Kontrolle der Zusammensetzung der „communauté domestique“ ist nicht nur ein Eingriff in die Privatsphäre, sondern wird auch den heute üblichen wechselnden Formen des Zusammenlebens nicht mehr gerecht und fordert unnötigen bürokratischen Aufwand.
 
Fazit

Besser als Minimalschritte zu gehen, sollte das wohlhabende Luxemburg in Europa eine Vorreiterrolle in Punkto bedingungsloses Grundeinkommen einnehmen, ohne Wenn und Aber!

Die Wirtschaft sollte sich auf ihre Ursprungsaufgabe besinnen, um die Menschen mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, indem sie möglichst wenig menschliche Zeit in Anspruch nimmt und möglichst wenig natürliche Ressourcen. Die Konsequenz ist die Entkopplung von Arbeit und Einkommen („Befreiung aus dem Zuchthaus“). Nicht weniger verlangt eine menschenwürdige Zukunft auf der Höhe der Zeit .


Literatur:

Kai Ehlers: Grundeinkommen für Alle. Sprungbrett in eine integrierte Gesellschaft. Pforte Verlag, Dornach 2006, ISBN 978-3-85636-191-4.

Werner Rätz, Dagmar Paternoga, Werner Steinbach: Grundeinkommen bedingungslos. AttacBasisTexte 17, Hamburg 2005, ISBN 3-89965-141-3.

Yannick Vanderborght, Philippe Van Parijs: Ein Grundeinkommen für alle? Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags. Campus Verlag, Frankfurt 2005, ISBN 3-593-37889-2.

Götz Werner (Hrsg.): Ein Grund für die Zukunft - Das Grundeinkommen. Interviews und Reaktionen. Stuttgart 2006, ISBN 3-7725-1789-7.