Statt Vollbeschäftigungsillusion ein Recht auf Einkommen?
- Alfred Groff im Inter-Actions Newsletter, November 2006 -
Das Online-Lexikon Wikipedia definiert das bedingungslose Grundeinkommen wie folgt: „Das so genannte bedingungslose Grundeinkommen (BGE) bezeichnet ein aktuelles gesellschaftliches, wirtschaftliches Modell, nach dem jeder Bürger eines Landes einen gesetzlichen Anspruch auf eine bedingungslose finanzielle Grundversorgung durch den Staat haben kann. ... Dazu zählen auch bestimmte Formen von Konzepten wie dem Bürgergeld oder der negativen Einkommensteuer. ... Es soll ein steuerfinanziertes Basiseinkommen für alle Menschen sein. Es soll in Existenz und Teilhabe sichernder Höhe ohne eine sozialadministrative Bedürftigkeitsprüfung (Einkommen/Vermögen) und ohne eine Arbeits-/Tätigkeitsverpflichtung individuell ausgezahlt werden. Man kann weiterhin frei soviel dazu verdienen, wie man für anstrebenswert hält und auf dem Markt aushandelbar ist.
Das Grundeinkommen unterscheidet sich von der Grundsicherung
Das Grundeinkommen unterscheidet sich damit von
einer Grundsicherung, die mit einer Bedürftigkeitsprüfung und
in der Regel mit einer Arbeitsverpflichtung bzw. einer abverlangten Arbeitsbereitschaft
verbunden ist.“
In Luxemburg gibt es eine Grundsicherung in Form
des « revenu minimum garanti (RMG) ».
Ein bedingungsloses Grundeinkommen erhält jeder großjährige Bürger ohne Wenn und Aber, so wie jedes Kind Kindergeld erhält. Der Unterschied zum Kindergeld ist nur, dass das BGE für jeden gleich ist. Das BGE sollte sich an der Armutsgrenze des Landes (60% des Medianeinkommens) orientieren. Der Anspruch auf das BGE ist ein individueller, also ein von der Lebensgemeinschaft und der Anzahl der Mitbewohner unabhängiger Anspruch. Ein hoher bürokratischer Aufwand, ins Privatleben eingreifende Kontrollen und „Zwangsarbeit“ entfallen.
Ist ein Grundeinkommen bezahlbar?
Die meisten Bürger erhalten bereits jetzt Geld vom Staat ohne dafür zu arbeiten, sei es in Form von sozialen Transfers oder in Form von Steuerbegünstigungen oder Abschreibungen aller Art. Die sozialen Transfers machen etwa in Deutschland eine Summe von über 700 Milliarden Euro aus (ohne die Verwaltungskosten von über 100 Milliarden Euro). Die Bezahlbarkeit eines generalisierten BGE wurde schon mehrfach nachgewiesen. Das Modell, das an der Universität in Ulm ausgearbeitet wurde, belastet alle Bruttoeinkommen mit einem festen linearen Abgabesatz. Eine andere Finanzierungsmöglichkeit, die zur Zeit in Deutschland diskutiert wird, basiert auf der Erhöhung der Konsumsteuern (Initiative „Unternimm die Zukunft“).
Ende der Vollbeschäftigung
Braucht man bei Vollbeschäftigung (bezahlte Arbeit) noch ein BGE? Hat der Staatsminister recht, wenn er am 2. Mai 2006 in seiner Rede zur Lage der Nation fordert: „Wir brauchen wieder eine regelrechte Vollbeschäftigungsmentalität“? Wird es aber außer in den Reden der Politiker in nächster Zukunft wieder Vollbeschäftigung geben ?
Die Zeit der Vollbeschäftigung war geschichtlich gesehen eine vergleichsweise kurze Zeit und die Zukunft verlangt nach völlig neuen Arbeitsmodellen. Diese werden mehr Dynamik und kreative Formen der Flexibilität erfordern, ein Recht auf Grundeinkommen kann ein Teil davon sein.
Man meint, dass in unserem Kulturkreis die soziale
Integration zur Zeit vorrangig mittels einer bezahlten Arbeit, als Selbständiger
oder als Angestellter und dem daraus resultierenden Einkommen zustande
kommt. Darüber hinaus braucht die Politik „mehr Beschäftigung“,
weil die Beschäftigten Beitragszahler sind, Nicht-Beschäftigte
dagegen Leistungsempfänger. Hieraus resultiert die politische Betonung
der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Wiederherstellung
der Vollbeschäftigung. Aber laut „Spiegel Online“ vom 26.04.2006 bestritten
2004 in Deutschland nur noch 39%, also eine Minderheit, ihren Lebensunterhalt
durch bezahlte Arbeit. Die Soziallasten, die auf deren Schultern lasten,
werden immer unerträglicher. Eine deutlich gewachsene Zahl von Bürgern
ist dagegen auf Rente, Arbeitslosengeld oder andere sozialen Transferleistungen
bzw. die Hilfe von Angehörigen angewiesen.
Auch in Luxemburg stellt man z.B. trotz Wirtschaftwachstum
von über 4% eine unaufhaltsame Zunahme der Arbeitslosenrate fest.
Durch Produktivitätssteigerungen und ein noch nicht ausgeschöpftes Rationalisierungspotential gibt es immer weniger, vor allem unqualifizierte, Arbeit. Zusätzlich kennt unser tendenziell neoliberales Wirtschaftssystem, in dem eine Minorität auf Kosten der arbeitenden Mehrheit und der Umwelt immer reicher wird, keine Standortloyalität. Wenn richtig vorbereitet und begleitet, kann das BGE einen gewaltigen gesellschaftlichen Gewinn darstellen ohne die Finanzierung der Sozialversicherungen zu gefährden. Die Konsequenz ist schlussendlich die Entkopplung von Arbeit und Einkommen.
Personal- und kostenintensive Kontrollmechanismen werden überflüssig
Die Schätze der Erde, wie auch das kumulative,
von den vorherigen Generationen geschaffene Kapital sollte eigentlich niemand
prioritär und exklusiv gehören . Um ein menschenwürdiges
Leben für alle zu garantieren, sollte jedem ein garantiertes Basiseinkommen
ohne Vorbedingungen zustehen. Dieses würde man erhalten, weil man
lebt - nicht um zu überleben. Es müsste die Grundbedürfnisse
nach Ernährung, Bekleidung, Wohnung, Kranken- und Pflegeversicherung
abdecken. Dies würde die minimale notwendige Basis für
die Ausübung einer freien individuellen Entfaltung bedeuten. Teilhabe
am gesellschaftlichen Reichtum und am gesellschaftlichen Leben wäre
somit gewährleistet und könnte nicht von den Schwankungen des
Arbeitsmarktes abhängig gemacht werden.
All diejenigen, die im Moment nicht bezahlten
Tätigkeiten nachgehen wie Hausarbeit, Kindererziehung, Altenversorgung,
Krankenpflege, Aus- und Weiterbildung, ehrenamtliche Verrichtungen, künstlerische
Betätigungen würden vom BGE profitieren. Ungenützte Fähigkeiten
könnten sich entfalten. Dieses Arbeitspotential ist vor allem wichtig
in Bereichen, wo es einen großen Nachholbedarf, wegen (angeblichen)
Mangels an Geld, gibt.
Darüber hinaus würde ein gesichertes Grundeinkommen umfangreiche personal- und kostenintensive Kontrollmechanismen (Verwaltungskosten), wie sie zur Zeit bestehen, zu einem erheblichen Teil reduzieren. Auch die Folgekosten der Probleme der von Existenzängsten Betroffenen (Medikamente, Alkohol, Steuerausfall …) wären deutlich geringer. Mehr Menschen kämen in den Genuss von Arbeit als Sinnstifter und als Möglichkeit zur persönlichen Anerkennung.
Grundeinkommen als Basis für Leistung
Ein Basiseinkommen ist sicher keine Hilfe zum Faulenzen, aber eine Basis zum Leisten, nach individuellem Bedürfnis. Wer mehr Leistung erbringt, soll weiterhin dementsprechend belohnt werden, wie das ja auch jetzt der Fall ist. Das BGE erlaubt dem Einzelnen gewisse wirtschaftliche Risiken einzugehen, ohne damit seine Existenz zu gefährden. Es fördert die ökonomische Initiative und die soziale Kreativität.
Vom RMG (Grundsicherung) zum BGE
In einer Übergangsphase sind sicher auch Zwischenstufen zwischen Grundsicherung und bedingungslosem Grundeinkommen denkbar. Es soll aber hier nochmals hervorgestrichen werden, dass eine Ergänzung jedes Grundeinkommens für die Mehrheit der Menschen durch bezahlte Arbeit die Regel sein wird, weil sich kaum einer mit einem Minimalkonsum begnügen dürfte.
Fazit: das BGE, in einer Gesellschaft, in der nicht mehr jeder oder jede Zugang zu einer existenzsichernden Arbeit hat, stellt ein ergänzendes Instrument zu einer theoretisch unbegrenzten finanziellen Entlohnung für den Einsatz der eigenen Fähigkeiten in einer Wirtschaft im Dienste der Menschen dar. Das ist eine Wirtschaft, die der solidarischenBedürfnisbefriedigung dient. Dazu fördert das BGE die freie individuelle Selbstbestimmung sowie ein gleiches Recht auf Absicherung für alle.
LINKS
Definitionen
http://de.wikipedia.org/wiki/Grundeinkommen
http://de.wikipedia.org/wiki/Bürgergeld
http://de.wikipedia.org/wiki/Negative_Einkommenssteuer
http://de.wikipedia.org/wiki/Grundsicherung
BGE-Modelle
http://de.wikipedia.org/wiki/Ulmer_Modell
http://de.wikipedia.org/wiki/Unternimm_die_Zukunft
http://www.d-althaus.de/index.php?id=52
« Lois », « projets de loi », « avis »
www.snas.etat.lu/ (Loi du 29 avril 1999 portant
création d’un droit à un revenu minimum garanti / texte coordonné
du 15 juin 2004)
www.chd.lu (Projet de loi 5144 version A10)
www.ces.etat.lu/LDI2006.pdf (Avis du Conseil Economique
et Social 2006)
Bedingungsloses Grundeinkommen in der luxemburgischen Presse
www.mtk.lu/grundeinkommen1.pdf (Luxemburger Wort
9.3.06, Seite 6 und 7),
www.mtk.lu/grundeinkommen2.pdf (Tageblatt
31.3.06. Seite 16)
www.mtk.lu/WOXX_Interview_28042006.pdf (Woxx
28.4.06, Seite 2)
www.wort.lu (Forum / Aktuelles: Bedingungsloses
Grundeinkommen und „Eng gratis Basispei fir all Mënsch“)
www.mtk.lu/lbleitstern.html (23.3.06, Seite 18)