ABC des bedingungslosen Grundeinkommens

RTL (www.rtl.lu) - 04.11.2009

Ende September wurde in den "Carré Rotondes" im Rahmen der Ausstellung "Colours of Money" der Film "Kulturimpuls – Grundeinkommen" gezeigt. Der vollbesetzte Saal unterstrich das große Interesse. Die anschließende Diskussion zeigte, dass die Vorurteile aber genau so groß sind. Da wird von vorne weg abgewunken, das Grundeinkommen sei ja unbezahlbar. Experten haben aber schon lang das Gegenteil bewiesen. 90% der Betroffenen wollen im Falle des Erhaltens eines bedingungslosen Grundeinkommens weiter arbeiten, 80% aber glauben, die Mitmenschen würden das nicht tun!

Angesichts der aktuellen und zukünftigen Krisen eines auslaufenden Wirtschafts- und Politikmodells, tut zunächst eine Revolution des Denkens Not. Der erste Denkschritt erfordert die Entkopplung der Begriffe "Arbeit" und "Einkommen".

Was ist ein bedingungsloses Grundeinkommen?

Wie jedes Kind ein Kindergeld erhält, weil es ein Kind ist, so erhält jeder Erwachsene ein Grundeinkommen, weil er ein Mensch ist. Das Niveau der nationalen Armutsgrenze wäre der adäquate bedingungslos zu zahlende Betrag, um die Basisversorgung aller Bürger zu garantieren. Darüber hinaus könnten sie so viel arbeiten und dazu verdienen, wie sie es wünschen.

Warum ein bedingungsloses Grundeinkommen?

Mindestens fünf Gründe sprechen dafür:

* Der erste Grund ist ganz einfach die Menschenwürde. Jeder Mensch wird bedingungslos von seinen Existenzängsten befreit. Erfahrungswerte in Beratungsstellen für Überverschuldete zeigen eindeutig, dass auch "Bessergestellte" nie vor einem Absturz gefeit sind.

* Der zweite Grund ist ein philosophischer: Die Natur wurde ALLEN Menschen kostenlos geschenkt, bevor es zu Privatisierung oder Nationalisierung gekommen ist. Ebenso verhält es sich mit den Fähigkeiten, die jeder bei seiner Geburt mitbringt. Die Wirtschaft baut integral auf diesen menschlichen Fähigkeiten und der Transformation der Naturschätze auf.

* Der dritte Grund ist ein sozialer: Es geht um Gerechtigkeit. Warum werden verschiedene Arbeiten nicht mit Löhnen vergütet, die aber genauso wesentlich sind für unser Zusammenleben, wie z.B. viele Haushalts-, Erziehungs-, Pflege- oder Kulturarbeiten?

* Der vierte Grund ist ein eigennütziger: Wir leben nicht mehr in einer Wirtschaft, in der die Menschen größtenteils auf dem Lande leben und sich selbst ernähren können, sondern in einer arbeitsteiligen Wirtschaft. Man denke nur an eine Flasche Wasser: Der Verkäufer, der Wassergewinner, der Erbauer der Pumpe, der Flaschenhersteller, der Etikettdrucker, der Papierhersteller, der Lastwagenfahrer, diejenigen, die die Kleider und das Essen all dieser Menschen hergestellt haben usw. Wenn man den Gedanken weiterspinnt, merkt man, dass es ein unendliches Netzwerk von Menschen ist, die am Entstehen einer einzigen Flasche Wasser beteiligt sind. Wer dabei welchen Anteil am Zustandekommen des Produktes hat, ist nicht genau feststellbar. Wir brauchen, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen, möglichst viele einsetzbare Fähigkeiten. Deshalb ermöglicht ein am Monatsanfang gezahltes Grundeinkommen den Einsatz aller Fähigkeiten für die andern Mitmenschen, also auch für uns.

* Der fünfte Grund ist ein wirtschaftlicher: Es ist sicher sinnvoller Geld direkt an die Konsumenten zu geben, um die Wirtschaft zu fördern, als marode Betriebe zu retten, die vielleicht wirtschaftlich noch von Nutzen sein könnten, wenn denn alles gut liefe.

Wie wird das bedingungslose Grundeinkommen finanziert?

Da alle vom bedingungslosen Grundeinkommen profitieren, sollten es auch alle zusammen finanzieren. Es gibt verschiedene gangbare Modelle, doch dasjenige über Konsumsteuern erscheint der sinnvollste. Schlussendlich konsumieren alle. Damit das Ganze nicht asozial wird, sollte die Konsumsteuer gestaffelt sein, je nachdem, ob es eher ein lebensnotwendiges Konsumgut ist oder ein Luxusbedürfnis befriedigt. Idealerweise müsste jeder Spekulationskauf mit einer Konsumsteuer belegt sein. Gegen die Finanzierung über die Einkommen, wie wir das bisher gewohnt sind, sprechen vor allem zwei Gründe: Erstens sollte niemand bestraft werden, wenn er für die anderen Menschen arbeitet, sondern man sollte zahlen, wenn man etwas nimmt das andere geschaffen haben. Zweitens wird die Zahl der für Einkommen Arbeitenden mit dem technischen Fortschritt und der Automatisierung weiter sinken. Zu bedenken ist noch, dass bereits jetzt viele Menschen eine Art Grundeinkommen erhalten, in Form von Sozialtransfers einerseits oder Privilegien, wie etwa steuerliche Absetzungen, andererseits. Hier würden keine Zusatzkosten entstehen, der Name müsste nur geändert werden. Viele bestehende staatliche Leistungen würden entfallen und es würde ein großer kostspieliger administrativer Aufwand eingespart. Aber es geht noch günstiger!

Wie kann das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt werden?

Durch die Einführung einer umlaufgesicherten regionalen Komplementärwährung, wie sie bereits vielerorts in Deutschland mit Erfolg praktiziert wird, hätte man ein Instrument zur Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Hand, das zudem noch die regionale Wirtschaft fördert. Der Wirtschaftswissenschaftler Hans Christoph Binswanger, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, der die Idee einer ökologischen Steuerreform entwickelte und als profilierter Geldtheoretiker und Wachstumskritiker gilt, hält diesen Weg für durchaus realistisch.

Die Einführung des Grundeinkommens ist aber weniger eine Finanzfrage als eine Kulturfrage. Götz Werner, Besitzer der DM-Drogeriemarktkette, meint, die Wirtschaft wäre da, um den Menschen von der Arbeit zu befreien. Wollen wir also, dass der sich mehrende Stress abgebaut werden kann und nicht nur einer gegen die anderen in der Wirtschaft zur Profitmaximierung arbeitet, so müssen wir uns und unsere Jugend auch bildungs- und bewußtseinsmäßig darauf vorbereiten. Eine stufenweise Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens scheint also sinnvoll. Am besten geeignet wäre die Form der direktdemokratischen Volksgesetzgebung, wie sie ja im jetzigen Regierungsprogramm vorgesehen ist. Die Durchführung sollte dreistufig sein: Volksinitiative, Volksbegehren und bindender Volksentscheid. Eine Medienklausel, die einen gerechten Informationszugang und einen längeren Dialog aller Menschen, ob einfache Bürger oder Spezialisten, welcher Couleur auch immer, ermöglichen würde, würde die Bewusstseinsfrage und das Interesse günstig beeinflussen.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein sinnvoller Schritt in eine zeitgemäße Zukunft, aber sicher nicht die Lösung aller Probleme.
 

http://news.rtl.lu/commentaire/lieserbreiwer_2009/47321.html